Im Prozess sollten drei Beweisstücke die Schuld der Angeklagten beweisen:

 
 

Vanzettis Revolver

Der Revolver Vanzettis.

Kappe

Eine Kappe
vom Tatort.

Kugel III

Die tödliche Kugel.

 
     
 
  Zurück in den Gerichtssaal.
 
   
 

"Vanzettis Revolver gehörte dem ermorderten Wächter."

Erst relativ spät stellte die Anklage die schwer auf Vanzetti lastende These auf, sein Revolver wäre jener des ermordeten Beradelli. Sacco habe dem toten Wächter die Waffe abgenommen und später Vanzetti übergeben. Möglich wurde diese Theorie durch die bekannte Tatsache, dass Beradelli meist einen Revolver von Harrigton & Richardson, Kaliber 38, bei sich trug, dieser aber bei der Leiche nicht gefunden wurde. Vanzettis Revolver war von der selben Marke und hatte das selbe Kaliber.Vanzettis Revolver

Als die Staatsanwaltschaft diese Behauptung erstmals aufstellte, war die Waffe bereits vierzehn Monate in deren Besitz. Katzmann leitete die Revolver-Theorie von einer vagen Andeutung eines der Zeugen der Verteidigung ab. Peter McCullum, Arbeiter bei Rice & Hutchinson, glaubte vom Fenster aus kurz gesehen zu haben, wie einer der Gangster mit der rechten Hand eine Box in den Fluchtwagen schob, während er in der anderen eine Waffe hielt, die wie ein weißer Revolver ausgesehen hatte, ähnlich Vanzettis vernicklenten Revolver, auf den er deutete. Katzmann mutmaßte, der Mörder Beradellis hätte den eigenen, schwarzen Revolver in die Tasche gesteckt, Beradellis Revolver aufgenommen und in der linken Hand getragen, während er mit der rechten die Geldkassette in den Wagen schob.

Ein weiterer Zeuge der Anklage beschrieb zwar, dass der Attentäter etwa zwei bis drei Fuß von Beradelli entfernt stand, als die letzten Schüsse auf diesen abgefeuert wurden, doch sprach auch er von einer hellen Waffe. Die Obduktion ergab allerdings, dass die Kugeln eindeutig von einer automatischen Pistole (stets schwarz oder dunkel), nicht von einem Revolver abgefeuert wurden. Als plausible Erklärung für die Beobachtungen, wonach die Waffe hell gewesen wäre, kann das am Metall reflektierende Sonnenlicht gelten.

Es ist außerdem keineswegs sicher, ob Beradelli am Tag des Überfalls die Waffe überhaupt bei sich trug. Nach Aussage Sara Beradellis, die Witwe des Ermordeten, gab Beradelli den Revolver (der ihm von Parmenter, dem ebenfalls ermordeten Zahlmeister überlassen wurde) einige Wochen vor dem Überfall zur Reparatur ab. Ob der Revolver wieder von der Werkstätte abgeholt wurde und Beradelli in wieder mit sich trug, konnte sie nicht sagen. Mrs. Aldeah Florence, gute Freundin von Sara Beradelli, ließ durch Schilderungen von Gesprächen zwischen beiden vermuten, dass Beradelli seine Waffe am fraglichen Tag nicht bei sich trug, weil sie sich noch immer in Reparatur befunden hätte.

Lincoln Wadsworth, im März 1920 Verantwortlicher für Pistolen und deren Reparatur bei der Iver Johnson Sporting Goods Company, hat nach eigener Aussage einen 38er Harrington & Richardson, der im Besitz von Beradelli war, entgegengenommen und an die Werkstatt übermittelt. Doch ob und wann die reparierte Waffe zurückgegeben wurde, ließ sich nicht mehr feststellen: Es fand sich – irrtierenderweise - keinerlei Vermerk in den Unterlagen der Firma. Zwar sagte James H. Jones, Verkaufsmanager der Firma, aus, dass sich der Revolver nicht mehr im Geschäft befände. Doch darüber, ob sie eventuell erst später als nicht abgeholter Artikel verkauft wurde, konnte er nichts sagen.

George F. Fitzmeyer, Werkstättenmeister der Firma, sorgte für Verwirrung: Seine Notizen widersprachen den vorherigen, auch belegten Angaben völlig, sowohl was das Abgabedatum des Revolvers in der Firma (19. statt 20. März) als auch dessen Defekt (Bolzen statt Feder) und Kaliber (32 statt 38) betraf.

Auch darüber, ob bei Vanzettis Revolver der Schlagbolzen ausgetauscht worden war, herrschten unterschiedliche Ansichten der Gutachter. Zum genauen Typ von Vanzettis Waffe wurden von den Zeugen ebenfalls sich widersprechende Angaben gemacht.

Für die Verteidigung gab Vanzetti im Zeugenstand an, die Waffe einige Monate vor der Verhaftung um fünf Dollar gekauft zu haben. Außerdem riefen die Anwälter mehrer Zeugen auf, die bestätigten, Vorbesitzer der Waffe gewesen zu sein oder diese gekannt zu haben. Luigi Falzini schließlich gab an, die Waffe von Orciani gekauft und später an Vanzetti Anfang 1920 verkauft zu haben. Auf den Umstand, dass Orciani selbst nicht in den Zeugenstand gerufen wurde, wies Katzmann später in aller Zweideutigkeit hin. Es galt als bekannt, dass er Orciani ebenfalls als schuldig ansah, auch wenn sein Alibi juristisch unanfechtbar blieb.

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"Die Kappe Saccos wurde am Tatort gefunden."

Die Staatsanwaltschaft legte eine Kappe vor, die angeblich neben Beradellis Leiche gefunden wurde. Nach Aussage eines Zeugen hatte die Kappe optische Ähnlichkeit mit einer Kappe, die Sacco zu tragen pflegte. Wie erst später bekannt wurde, fand eine Arbeiter der Slater & Morrill-Fabrik besagte Kappe am Abend des 16. April, also einen Tag nach dem Überfall, mitten auf der Straße.

KappeDie Kappe, die über andere Polizeibeamte schließlich zu Jeremiah F. Gallivan, Polizeipräsident von Braintree, gelangte, hatte eine ungefähre (amerikanische) Hutgröße von 6 7/8. Saccos Hutgröße betrug 7 1/8. Anhand eines Loches im Innensaum meinte die Staatsanwaltschaft, die Kappe als eine von Saccos identifiziert: Sacco hatte die Gewohnheit, seine Kappen an einem Nagel aufzuhängen. Sacco selbst wollte von einem Loch im Saum seiner Kappen nichts wissen. Gallivan gab 1927 jedoch zu Protokoll, dass er es gewesen ist, der das Loch in das Futter der Kappe riss: Er suchte nach dem Namen des Besitzers. (Er wurde seinerzeit nicht vor Gericht geladen.)

Erst durch die Aussage von Fred Loring, Arbeiter bei Slater & Morrill, bekam die Kappe die von der Staatsanwaltschaft gewünschte Relevanz. Loring stellte den Sachverhalt in allen wesentlichen Punkten anders da, indem er behauptete, die Kappe direkt nach dem Überfall neben der Leiche gefunden zu haben. Außerdem meinte er bei Begutachtung der Kappe, dass er sie in diesem Zustand gefunden hätte.

George T. Kelley, Vorarbeiter Saccos, konnte die Kappe nicht als Saccos identifizieren. Indem Richter Thayer die Frage einbrachte, ob sie ihr denn „ähnlich“ sähe – was Kelley bejahen musste – wurde die Kappe als Beweisstück zugelassen.

Dass die Kappe eindeutig zu kleine war, als Sacco sie im Gerichtssaal aufsetzten musste, schien auf den Richter und die Geschworenen so gut wie keinen Eindruck gemacht zu haben. Richter Thayer bezog sich drei Mal auf die Kappe, als er drei Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens ablehnte, und auch auf die Geschworenen scheint sie einen großen Eindruck gemacht zu haben, genauso wie auf zeitgenössische Anwälte.

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"Die tödliche Kugel wurde aus Saccos Colt abgefeuert."

Zum stärksten und umstrittensten Beweisstück wurde die Kugel, die laut Anklage aus Saccos Colt abgefeuert wurde und den Tod von Kugel IIIAllesandro Beradelli verursachte („Kugel III“). Allerdings wurde dieses Beweisstück nicht von der Staatsanwaltschaft, sondern von der Verteidigung eingebracht: Moore beantragte am 5. Juni 1921 ballistische Untersuchungen der Kugel. Die Versuche am 18. Juni führten zu drei Gutachten verschiedener Experten. Der Bericht der Verteidigung schloss aus, dass die Kugel aus Saccos Colt abgefeuert wurde. Ein weiterer Sachverständiger sah dies als möglich an („I am inclined to believe [...]“). Für Sacco verhängnisvoll wurde die Aussage des dritten Sachverständigen William H. Proctor.

 

Harold P. Williams (stellvertretender Distriktstaatsanwalt): Sind Sie zu einer Erkenntnis darüber gelangt, ob die hier als Beweisstück vorliegende Kugel III aus dem automatischen Colt abgefeuert wurde?

Proctor: Das bin ich.

Williams: Und was ist Ihre Meinung?

Proctor: Meine Meinung ist, dass sie einer aus dieser Pistole abgefeuerten Kugel entspricht. (My opinion is that it is consistent with being fired by that pistol.)

 

Diese sprachlich nicht eindeutige Aussage wertete Thayer gegenüber den Geschworenen als Beweis gegen Sacco.

Welche Ungereimtheiten rund um die Kugel III gab es noch?
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Kappe Kugel III