![]() Fullers Kommission Als Gouverneur hatte Fuller das Recht, in seinem Bundesstaat gefällte Urteile gnadenhalber oder aus rechtlichen Gründen aufzuheben. Konfrontiert mit dem Gnadengesuch Vanzettis und den anhaltenden Protesten gegen das Urteil, entschied sich Fuller für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Das Defense Committee zeigte sich hoffnungsvoll und sagte geplante Demonstrationen für die Zeit der Untersuchung ab. Am 1. Juli gab Fuller die Zusammenstellung der Kommission bekannt: Samuel W. Stratton, Präsident des Massachusetts Institute of Technology, Robert A. Grant, ehemaliger Richter am Nachlaßgericht, und als Vorstitzender Abbott Lawrence Lowell, Präsident von Harvard. |
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Die Lowell Commission nahm ihre Arbeit offiziell am 11. Juli 1927 auf. Die für diesen Tag geplante Hinrichtung wurde daher auf den 10. August 1927 verschoben. Sacco und Vanzetti wurden bereits ab 30. Juni im Gefängnis Charlestown untergebracht, wo die Hinrichtung stattfinden sollte. Bereits am Beginn der Untersuchungen hatte sich für Thompson und Ehrmann, die für die Verteidigung an den Anhörungen teilnahmen, der Eindruck verschärft, dass sich das eingesetzte Komitee als Ankläger begriff, die jeden Hinweis auf die Unschuld der Männer zu Fall bringen wollten. Um den Untersuchungen die Legitimität abzusprechen hatten beide ernsthaft vor, an den Anhörungen nicht teilzunehmen, wurden jedoch von einem Richter sowie Felix Frankfurter umgestimmt, die Vertrauen in Lowells Einsicht demonstrierten. Außerdem, so deren Befürchtung, könnte ein Rückzug als Zeichen mangelnden Glaubens in die Unschuld der Angeklagten gewerten werden. Die Lowell Kommission schloss die Verteidigung allerdings von sich aus von den Einvernahmen von Richter Thayer und den Geschworenen aus. Auch der Aussage von Katzmann durften sie nur teilweise beiwohnen. Während der rund zweiwöchigen Untersuchung ergaben sich zwei besonders bemerkenswerte Episoden. |
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Lowell will Saccos Alibi stürzen Im Zuge der Untersuchungen bemühte sich Lowell, das Alibi von Sacco zu entkräften: |
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Eine eigenartige Zeugin Als Zeugin, die Saccos behauptete Unschuld ins Wanken bringen sollte, wurde von der Kommission Carlotta T. Tattilo präsentiert. In South Braintree war sie, die auch unter den Namen Carlotta Packard (Mädchenname) und Mrs. Charmrock (Name ihres ersten Mannes) geführt wurde, bekannt als „Verrückte“ (Polizeipräsident von Braintree, J. Gallivan). Weder Polizisten noch andere, denen sie ihre Geschichte über Saccos angebliche Beteiligung am Überfall erzählte, nahm sie ernst. Sie behauptete, Sacco als Mitarbeiter der Rice & Hutchinson Fabrik im Jahr 1908 gesehen bzw. gekannt, und ihn so auch später als Beteiligten bei dem Überfall identifiziert zu haben. 1908 kam Sacco jedoch erst als siebzehnjähriger in die Vereinigten Staaten und schlug sich nachweislich bei anderen Betrieben durch. Als Lowell diese Angabe als offensichtlichen Irrtum („slip“) bezeichnete, reagierte sie überzeugter denn je: „1908. Wenn ich mich irre, sage ich’s schon.“ Katzmann vermied es bewusst, sie als Zeugin vor Gericht zu laden: Ihre widersprüchlichen Aussagen änderten sich laufend, auch während der Verhöre vor der Kommission. Doch Lowell versuchte, durch mehrere Erklärungsmodelle Tattilos Aussage glaubwürdig zu machen. So würden seine Ansicht nach deswegen keine Unterlagen über Saccos Dienstverhältnis im Jahr 1908 vorliegen, weil angeblich einige Unterlagen bei einem Brand vernichtet worden sind. Die Verteidigung bot Zeugen, die übereinstimmend über Tattilo berichteten, sie hätte eingesehen, dass sie Sacco wohl mit jemand anderen verwechselte, der ähnlich aussah. Sogar sie selbst sagte wiederholt vor dem Komitee: „Ich glaube nicht, dass ich ihn gesehen habe…“ Dennoch stand im Schlussbericht zu lesen: „Die Frau ist exzentrisch, ihr Verhalten zweifelhaft; doch das Komitee glaubt, ihre Aussage ist es in diesem Fall wert, berücksichtigt zu werden.“ |
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Der Schlussbericht Die Untersuchungen endeten bereits am 25. Juli, der Schlussbericht wurde dem Gouverneur am 27. Juli vorgelegt. Lowell und die beiden anderen Komissionsmitglieder beschreiben darin das Verfahren als fair: es gäbe keinen Zweifel an der Schuld des Angeklagten Sacco, und insgesamt auch keinen Zweifel an der Schuld Vanzettis („On the whole, we are of the opinion that Vanzetti was also guilty beyond a reasonable doubt.“). |
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Am späten Abend des 3. August verkündete Fuller seine auf diesen Bericht gestützte Entscheidung, Sacco und Vanzetti weder zu begnadigen noch einen neuen Prozess zu gewähren.
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Befriedigung und scharfe Kritik In der breiten Öffentlichkeit und den meisten Zeitungen wurde der Bericht der Kommission, der erst Tage nach der Entscheidung Fullers veröffentlicht wurde, befriedigt zur Kenntnis genommen. Nur wenige kritische Stimmen verwiesen auf vermeintliche Unzulänglichkeiten. So fragte der Schriftsteller John Dos Passos in einem offenen Brief an Lowell: „Erschien dem Ausschuss die Beweisführung der Staatsanwaltschaft als so schwach, dass er sie durch eigene neue Schlussfolgerungen und Vermutungen untermauern musste?“ Er hätte den Eindruck, der Bericht wolle nicht überprüfen, sondern die bisherigen Entscheidungen respektabel machen. Tatsächlich bestätigt der Bericht die Beschlüsse von Richter Thayer, indem Zeugenaussagen herangezogen werden, die wegen deren Unglaubwürdigkeit vor Gericht nicht gehört wurden. |
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